Eingesponnen in die Worte. Carmen Tartarottis Friederike Mayröcker.

16.10.10 / Badischen Zeitung, von: Ulrich Sonnenschein

Ich rede nicht gerne, sagt Friederike Mayröcker zu Beginn, und ich kann nicht schreiben, wenn noch jemand im Raum ist. Sie diktiert die Bedingungen: Das ist die Grundlage, auf der wir bei diesem Film arbeiten müssen, sagt sie. Die Regisseurin Carmen Tartarotti hat 1989 schon einmal einen Film über Mayröcker gemacht. Sie hat ein wirkliches Interesse an der Autorin, und mit "Das Schreiben und das Schweigen" ordnet sie sich den Vorgaben der inzwischen 85-Jährigen unter. Über einen langen Zeitraum hat sie Mayröcker mit der Kamera begleitet, und sie schafft ein derart intimes Porträt der Grande Dame der österreichischen Experimentalliteratur, dass man sich wundert, wie es überhaupt zustande kommen konnte.

Dies ist ein Film für alle. Nicht nur für Fans der oft hermetischen Gedichte, der selbstversunkenen Prosa und schließlich der unnahbaren Autorin selbst, es ist ein Film, der die Türen öffnet zu einer einzigartigen Autorenexistenz. Und dass sich diese Türen öffnen, das ist eine ungeheure Leistung. Jeder, der schon einmal bei einer Lesung von Mayröcker war, weiß, dass sie ungern über sich selbst redet und über ihre Gedichte schon gar nicht. Sie mag keine Fragen, und so verzichtet der Film gänzlich darauf. Dafür liefert er bestechende Antworten.

Friederike Mayröcker ist kein öffentlicher Mensch. Sie mag die Sonne nicht, am besten fließen die Worte mit dem Regen, zumindest bei bedecktem Himmel, den es in Wien, so klagt sie, nie gibt. Sie hat sich eingesponnen in ihre Worte wie eine Raupe in ihren Kokon, aus dem sie jedoch niemals schlüpfen wird. Was da in schöner Regelmäßigkeit zum Leben erweckt wird, sind ihre Gedichte, kompakte Wesen aus Textbruchstücken, die sich in Mayröckers Zuhause abgelagert haben.

Ich habe keinen Platz, sagt sie. Dabei füllen ihre Worte zwei Wohnungen in Wien, in denen sie sich kaum bewegen kann. Überall liegen Zettel, Briefe, Bücher und Zeitungen, in der Küche, im Bad, auf dem Bett und im Schuhregal. Wüsste man es nicht besser, so könnte man meinen, hier wohne ein pathologischer Messi. Aber was wie Chaos aussieht, ist die Grundlage der Mayröcker’schen Ordnung, ist das Substrat, das sie braucht, um schöpferisch zu arbeiten, ebenso wie die alte, inzwischen unersetzbare mechanische Schreibmaschine.

Friederike Mayröcker liebt das Leben. Desto dringlicher, je mehr es sich dem Ende zuneigt, nach dem Verlust ihres geliebten Partners Ernst Jandl, den sie verschmitzt Eje nennt. Sie lebt in Wien und passt, so scheint es, auch nirgends anders hin. Die Ausflüge in die Natur sind wie Reisen in eine exotische Welt der Unmittelbarkeit. Und das ist das Gegenteil von Lyrik. Carmen Tartarotti ist ein ungeheuer poetischer Film gelungen, der zu Recht mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Ein Film, der die schweigsame Dichterin zum Reden bringt, so dass sie selbst staunen wird. Ein Film, der das Schreiben thematisiert, ohne es zu zeigen, der Gedichte bebildert, ohne sich ihnen anzubiedern und schließlich einfach einen Menschen porträtiert, der fest verankert ist in der Welt der Worte.

http://www.badische-zeitung.de/kino-rezensionen/eingesponnen-in-die-worte--36634866.html


Das Schreiben und das Schweigen

16.10.10 / Neues Deutschland / von Hans-Dieter Schütt

Würde Einsamkeit gefragt, wie und wer sie denn sei, so bräuchte Einsamkeit nur auf diesen Film zu zeigen: Da, sieh, so bin ich, so traurig, ja, aber auch so schön und stark. Würde freilich der Tod gebeten, von sich zu erzählen, er sähe sich zwar erwähnt, geahnt, gefühlt in diesem Film, aber er bleibt zwischen den Bildern ein Ungeliebter, Hinweggelebter. Als sei ausgerechnet er, auf den doch alles zuläuft, chancenlos.

Seit fünfzig Jahren lebt und schreibt Friederike Mayröcker in der Wiener Zentagasse...Die Wohnung ist ein Treibhaus aus Papier, das schlägt aus, das wuchert; Papiergebirge, Notizzettel, Bilder, Bücher, Plakate; Wäscheklammern fixieren beschriftete Blätter an Wandborden und Türen. Übereinander gestellte, überquellende Wäschekörbe stehen da, mit Briefen, Mappen. Auch gibt es zwar Tablettenstapel, Alltagsutensilien, aber die türmen sich schüchtern, gepfercht, umzingelt von allem Papier...Und die Mayröcker inmitten: groß, schlank, blass, ganz in Schwarz, die Haare, auch schwarz, im Cleopatra-Schnitt. Wie ein seltsam einsam prunkendes Insekt bewegt sich die Dichterin; ein geheimer Bauplan der besonderen Natur hält hier alles zusammen, diktiert jede Bewegung – für die Filmemacherin wird mit Mühe ein Stuhl freigemacht, und kaum hat sie sich erhoben, ist der Stuhl schon wieder überwachsen. Ein Filmteam? Das käme einer Wohnungssprengung gleich, und so zeigt eine Szene die eher schmächtige Frau Tartarotti, wie sie sich allein mit allem Film- und Tongerät ins Haus schleppt.

Dieser Film ist Anverwandlung. Es ist, als gehe er über in die Mayröcker. Oder sie nimmt ihn in Besitz, aber so, wie man eine Selbstverständlichkeit verrichtet. Dieser Mensch ruht derart tief in sich selbst, dass im Kinosessel Hoffnung sich neben dich setzt: Das schaffst du auch.

Das Schreiben zu filmen, ist unmöglich. Und langweilig Die Mayröcker erzählt ihr Schreiben, aber so, als wolle sie eigentlich nur immer schweigen, so spricht sie für sich hin, und ein Leben offenbart sich. Sie zieht, wenn die Sonne scheint, Vorhänge zu, wie man einen Schluss-Strich zieht. Regen ist schön. O Hilfreichtum, »wenn's tröpfelt« und die Welt grau wird.

Was ein Gedicht werden will, kann in seinen Anfängen schnell hingekritzelt sein, dann aber wird hineingetaucht in die Massive aus Zetteln, diesen eigentlichen Hauptbewohner der Behausung, dort liegen die so ganz anderen Sätze verborgen, in Jahrzehnten gesammelt, das Gedankenbergwerk, die poetischen Substanzen, die Metaphern, die Sprengsel, die nun eingearbeitet werden ins grob Angedichtete; so gelangt »das Surreale« in den Vers. Und die Mayröcker zieht sanft die Tücher von den zwei uralten Reserveschreibmaschinen, Tücher wie Wärmedecken, Winterschlafmitgift fürs Schreibgerät, als sei es ein Atemgerät, und von den noch in Arbeit befindlichen Gedichten erzählt sie, die hängen manchmal »halb ohnmächtig auf der Maschine rum«.

Behutsam in den Film gesetzt: Albumfotos aus ihrem Leben, mit Jandl; Szenen von Lesungen; die Scheu der Dichterin, und ihre Hartnäckigkeit, sich Podiumsgesprächen zu verweigern. Erinnerung ist auch komisch, rührend – auf den Südbahnhof geht sie, wo sie sonntags mit Jandl oft zu Mittag aß, im hässlichen Bahnhofsrestaurant mit dem Namen »Rosenkavalier«; die Beiden stellten sich dann immer vor, sie seien gerade von einer Reise gekommen,

Zu den faszinierendsten Momenten gehört der Gang durchs Wiener Archiv, wo der Nachlass von Ernst Jandl liegt und wohin die Mayröcker ihren Vorlass gibt. Mit welch nahezu sakraler Ruhe sie entlang der Pappkartons geht, neben sich den jungen Archivar, sympathisch, aber berufsbedingt seelenlos, naturgemäß ein Todesbote; wie die geliebten Papiere daheim hingegeben werden ins Fremde, an die Abholerin aus dem Archiv: als gingen da Kinder ins Kinderheim oder Tiere ins Tierheim. Die Mayröcker: in Bedrücktheit doch frei, unantastbar durchs Vergängnis der Dinge und doch im Einverständnis mit aller Aufhörlichkeit – wenn sie nur ihre Poesie dagegen setzen kann. Wenn sie durch grauen Stadtwinter geht, den Asphalt mit keinerlei Hast berührt, wenn Vögel auffliegen, Kinder den Bürgersteig lautmalen, dann geht da eine wache Müde, »ich muss nicht sterben, um außerhalb der Welt zu sein, ich bin es schon.« Diesen Satz erzählt der Film. Keine Biografie, ein bewegendes Bilder-Hör-Buch vom tief dunklen Fluss einer besonderen Existenz.

www.neues-deutschland.de/artikel/181969.das-schreiben-und-das-schweigen.html


Friederike-Mayröcker-Doku: Das Schreiben und das Schweigen

14.10.10 / Zitty Berlin

... Carmen Tartarottis Dokumentation über die berühmte österreichische Schriftstellerin und Lebensgefährtin Ernst Jandls ist dicht und atmosphärisch. Sie nimmt die Perspektive der Dichterin ein und wirkt so künstlich wie sie selbst, ihre seit Jahrzehnten unveränderte Erscheinung, die schwarz gefärbten Haare, der verträumte Blick.... Sie wirkt apathisch, wie nicht von dieser Welt. Und in fast jeder Szene regnet oder schneit es. Wenn die Sonne scheint, was in Wien viel zu häufig der Fall sei, könne sie einfach nicht schreiben.

http://www.zitty.de/kultur-kino/65456/

 


Das Schreiben und das Schweigen. Die Schriftstellerin Friederike Mayröcker

14.10.10 / film-dienst von Esther Buss

....Die Schriftstellerin sträubt sich dagegen, beim Schreiben gefilmt zu werden – „beim Schreiben bin ich selbst schon zu viel“. Und sie sträubt sich gegen das Sprechen. Immer wieder und geradezu hartnäckig spricht sie darüber, dass sie nicht gerne spricht, und dennoch ist „Das Schreiben und das Schweigen“ ganz von ihrer Sprache erfüllt – ihren Gedichten, aber auch dem Sprechen über ihre manische Textproduktion. Erstaunlich sortiert und konkret beschreibt Mayröcker den organischen Entstehungsprozess ihrer Gedichte, wobei allmählich klar wird, dass sich hinter dem vermeintlichen Papierchaos eine Methodik verbirgt, die dafür unabdingbar ist. So erzählt sie, dass sie in einer bestimmten Phase des Schreibens in den zahlreichen Körben zu kramen beginnt und den unfertigen Text mit einem der heraus gefischten Zettel fortsetzt – ein künstlerisches Verfahren, das entfernt an die „écriture automatique“ der Surrealisten erinnert. „Surreale Dinge zum Rüberstreuen“ nennt Mayröcker diese unsortierten Gedanken, die das Zufallsprinzip in die Arbeit einfließen lassen.

„Das Schreiben und das Schweigen“ ist ein geduldiger Film, der seine Hauptfigur in keinem Moment spektakularisiert. Carmen Tartarottis Bilder setzen sich nie in Konkurrenz zur Sprache, und sie versuchen auch nicht, sie zu illustrieren. Bilder und Sprache formieren sich vielmehr zu einer neuen Wirklichkeit, die durch Friederike Mayröcker zwar hervorgebracht wird, hinter der sie als konkrete Figur jedoch fast verschwindet – selbst wenn man sie im dicken Pelzmantel durch das winterliche Wien stapfen sieht.....der Kern des Films ist die geheimnisvolle Realität, die zwischen der Autorin und dem Textmaterial entsteht. Sowohl das, was benannt wird, als auch das, was sich unausgesprochen im Raum aufhält.

http://film-dienst.kim-info.de/kritiken.php?nr=10939


Von der Poesie des Unsagbaren

14.10.10 / kino-zeit.de

....Carmen Tartarotti ist ein wunderbar intimes Porträt einer ebenso sanften wie entschlossenen Frau gelungen. Ein Dialog, der weit über das gesprochene Wort hinausgeht und vieles von dem einfängt, was sich zwischen Menschen auf einer intuitiven Ebene abspielt.

In gewisser Hinsicht ist Das Schreiben und das Schweigen tatsächlich ein Film über das Schweigen geworden. Aber nicht, weil Friederike Mayröcker die Auskunft verweigert hätte. Und auch nicht, weil die Wortkünstlerin von sich glaubt, sie habe im mündlichen Ausdruck weniger Talent als an der Schreibmaschine. Sondern weil sich ihr Schreiben vor allem mit dem beschäftigt, was zwischen den Zeilen schwebt: mit jener Magie der Sprache, die sich ins Unsagbare vorwagt. In eine Zauberwelt, die sich von der gewöhnlichen Realität unterscheidet.

......Carmen Tartarotti kombiniert das Leben Friederike Mayröckers auf eine einfache, aber wirkungsvolle Weise mit ihrem Schreiben. ...Nicht nur aufgrund der Worte, sondern vor allem aufgrund der Bilder entsteht so ein höchst beredter Film über die Poesie des Unsagbaren.

http://www.kino-zeit.de/filme/das-schreiben-und-das-schweigen


lyrikline.org blog

13.10.10 / by Heiko Strunk

...Ich möchte nicht versäumen, diesen großartigen Film all jenen zu empfehlen, die, wie Mayröcker selbst, von der Magie der Sprache begeistert sind.

.....man erfährt in diesem Film so einiges, nicht nur über die Autorin Friederike Mayröcker, sondern über den Menschen, ganz nebenbei, allein weil man dabei ist, wenn sie Dinge tut, und sieht, mit wie viel Achtung und Liebe sie diese Dinge angeht.

.....Für Mayröcker ist die Realität voller Poesie, und ebenda findet Tartarotti die adäquaten subtilen und poetischen Bilder, die dem zurückgenommenen Sprachduktus der Autorin entsprechen. Mayröckers reduziertes Sprechen klärt das Wesentliche und bringt es dabei immer wieder trefflichst auf den Punkt. ‚Die Realität aufschreiben, das Surreale darüber verstreuen, so funktioniert das mit dem Gedichte schreiben.’ Und die Frage nach einem außerliterarischen Sinn ihrer mitunter hermetischen Texte beantwortet sie so, wie es vermutlich auch ein altersweiser ZEN oder Yoga Meister getan hätte: ‚Was nicht verstanden wird, bleibt halt offen.’

EJ – ist in seiner Abwesenheit, wenn wundert’s, durchgängig präsent, und damit zugleich auch ihrer beider Bindung und Liebe. Das Gespräch mit ihm, dem Gegengewicht ihres Daseins, ahnt man, führt sie fort. Selten hat mich ein Liebesbeweis stärker angerührt als ihr selbstversunkenes Eingeständnis ‚Ich würde alles für dich tun, wenn du nur lebtest.’ Doch diese ungeheure Sehnsucht nach dem verstorbenen Lebenspartner bleibt eine ganz und gar diesseitige, wird gekontert von einem anderen ebenso kraftvollen Bekenntnis: ‚Ich leb ja so gerne, so wahnsinnig gerne.’ Und vielleicht ist es gerade dieses Spannungsverhältnis zwischen sehnsuchtsvoller Trauer und intensivem Lebenswillen, das den Film so leicht und so gehaltvoll macht.

http://lyrikline.wordpress.com/2010/10/13/poesie-film-i-das-schreiben-und-das-schweigen/


Lyrik im Irrgarten: Eine Dokumentation von Carmen Tartarotti über die Dichterin Friederike Mayröcker.

11.10.10 / TIP Berlin von Stella Donata Haag

"Filmische Komplizenschaft im besten Sinne: aufmerksame und auf ergreifende Weise komische Dokumentation über die österreichische Dichterin Friederike Mayröcker, deren hintersinnige Sprachartistik durch die Beobachtung des Alltags geerdet wird"

Man muss sich das Schreiben der Friederike Mayröcker wie ein launisches Tier vorstellen. Ein Tier, das in einer Papierhöhle haust, einem Irrgarten aus Zettelkästen, Plakaten, Briefen, in dem es seine Pfade ganz genau kennt. Die Dichterin ist mehr überforderte Tierpflegerin als stolze Dompteuse und bekennt sich in Carmen Tartarottis Dokumentarfilm "Das Schreiben und das Schweigen" zur Poesie als selbstüberlistendes Handwerk, das auf soliden "Kochrezepten" und einer guten Portion magischem Denken fußt. Und viel Mühe macht: "Die Sprache strengt mich so furchtbar an, ich mag nicht sprechen. Und auf dieser Grundlage werden wir unseren Film aufbauen."

Carmen Tartarottis zweiter Film über die eigenwillige Lyrikerin lebt von der abwartenden Aufmerksamkeit der Filmemacherin und der umwerfend selbstironischen Schrulligkeit der

85-jährigen Mayröcker, bringt das Leben in der Kunst zum Funkeln und könnte so glatt als Film zum Buch wirken – als Film, der zu den Büchern führt wie in der Sprache eh immer eins zum andern, im Sinne des berühmten "etc.", das so viele ihrer Verse beendet.

tip-Bewertung: Sehenswert

http://www.tip-berlin.de/kino-und-film/das-schreiben-und-das-schweigen-im-kino


Das Schreiben und das Schweigen – Ein magisches Portrait Friederike Mayröcker

11.10.10 / AVIVA- Berlin, von Evelyn Gaida

Andere Wirklichkeit. Ruhe. Gedämpfte Geräusche von der Straße dringen durch das geöffnete Fenster, ein scharfer Lichtstrahl trifft auf beschriebene Seiten, die Silhouette von spartanischen Kleiderbügeln vor dem Himmel, ein knapper, klarer Ton, als Mayröcker die Tür schließt. Zurück bleibt das schweigende Zimmer. In "Das Schreiben und das Schweigen" öffnet die Dichterin den ZuschauerInnen nicht nur ihre Privaträume, sondern auch einen anderen Zugang zur Wirklichkeit... Weder erzählerisch noch filmisch wird jedoch eine biographische Chronologie verfolgt, sondern eine bildhafte Annährung an Mayröckers Lebens- und Schreibwelt. Magische Ausdruckskraft und Rätselhaftigkeit stehen auch visuell nebeneinander.

Gesteigerte Gegenwart. Gesprochene und vorgelesene Wörter übertragen im Zusammenwirken mit den Filmaufnahmen die Aura einer frappierend unabhängigen Frau, die unspektakulär einfach nach den Gesetzen ihrer eigenen Natur lebt. Biographisches und gegenwärtige Lebensrealität zeigt der Film als Wechselspiel in enger Verflechtung. Erreicht wird dadurch eine gesteigerte, erzählte Gegenwart: Äußerungen über Mayröckers Verhältnis zur Sprache, Phasen ihrer künstlerischen und persönlichen Entwicklung, Erinnerungen an Ernst Jandl, der bis zu seinem Tod im Juni 2000 ihr langjähriger Kollege, "Hand- und Herzgefährte" war, Innen und Außen, zu Hause und auf Lesereisen, Zitate aus Gedichten als Hinter- und Untergrund dieser aufgezeichneten Realitäten.

Wiener Bibliotheksarchive verwahren in "feuerfesten Metallschränken" die Vorarbeiten der Dichterin. Auf dem Küchentisch türmen sich Packungen mit Tabletten gegen Bluthochdruck. Wie Schreiben und Schweigen gehen Konkretes und Abstraktes in Tartarottis Dokumentation eine Symbiose ein. Nur eine geringe Verschiebung des Blicks und alles stellt sich vollkommen anders dar, als die gewohnte Selbstverständlichkeit es glauben machen will – dies ist die Selbstverständlichkeit, in der Friedericke Mayröcker sich bewegt, umgeben von einem Wortwerk, das sich immer neu zusammensetzt.

Neben Poesie und Abstraktion lässt die Sparsamkeit des Films viele Untertöne in Mayröckers Persönlichkeit zum Vorschein kommen, die oft einen keck verschmitzten Humor aufblitzen lässt. Mayröcker geht mit unaufdringlichem Eigensinn ihren Weg und nimmt sich selbst nicht überernst dabei. "Diese blöde Sonne! Jetzt scheint ja ständig die Sonne!" grimmt sie dem Wetter, das zum Schreiben nicht trübselig genug sein kann. Ein Naturmensch sei sie dennoch, in den Sommern mit Ernst Jandl auf dem Land hätte sie es nicht gebraucht, das künstlerische Schaffen, und manche Tage zerrissen ihr noch heute das Herz vor lauter Schönheit. "Ich lebe ja so gerne, so wahnsinnig gerne!"

Auch in der schlichten Schönheit dieses Films spricht sich Friederike Mayröckers Lebensfreude so leise und fesselnd aus, dass sie noch außerhalb des Kinos lange nachhallt. Das Schlichte, "Geringe" wird mit einer leichten Wendung des Blicks zur eigenständigen Vollzähligkeit. Diese Worte und Bilder können tatsächlich die Welt verändern.

AVIVA-Tipp: "Das Schreiben und das Schweigen" stellt sowohl zum künstlerischen Schaffen, als auch zu der faszinierenden Persönlichkeit Friederike Mayröckers eine große Nähe her. Die ebenso kunstvolle wie minimalistische und einfühlsame Dokumentation lässt viele Zwischentöne hörbar werden, in denen oft ein feiner Witz mitschwingt. Einen Spalt breit beleuchtet diese Verschmelzung von Bild und Sprache dabei nichts weniger, als die unergründliche Schnittstelle von innerer und äußerer Wirklichkeit. Ein absolut kostbarer Film.

http://www.aviva-berlin.de/aviva/content_Kultur_Kino.php?id=1429673


Der Rest ist Schweigen

01.10.10 / Schnitt / Das Filmmagazin, von Lena Serov

... Friederike Mayröcker, die bereits die 80 Jahre überschritten hat und von sensibler Gesundheit ist, beschloß selbstbehauptend einen Film über das Schreiben und das Schweigen zu machen. »Ich mag nicht sprechen! Und auf dieser Grundlage werden wir unseren Film aufbauen.« Und tatsächlich sieht man Mayröcker selten in die Kamera sprechen, ist selten mit einer direkten Anrede konfrontiert. Stets gebückt und in sich versunken, sich hinter ihren rabenschwarzen Haaren versteckend entzieht sie sich einem neugierigen Zuschauerblick. Ihr zurückhaltendes, doch souveränes Abwehren von Fragen eines Interviewers, der beantwortet wissen will, worüber sie schon allzuoft gesprochen hat, ist eine der stärksten Szenen des Films. Und doch spricht sie: Ihre Stimme ist als »allwissende« Off-Erzählerin präsent – zugleich distanziert und nah. Die Stimme, die gezeichnet ist vom Alter, legt sich wie ein mal beiläufiger, mal hervorhebender Kommentar über den filmischen Text. Sie rezitiert Gedichte und erzählt von ihrer behutsamen Arbeitsweise und der Liebe zu den verstreut notierten Gedanken, die sie immer wieder aus dem Chaos hervorholt.

Sehr unaufgeregt und leise kommt dieser Film daher, der kein Portrait sein will, sondern vielmehr eine Elegie auf die Einsamkeit und das Schreiben und damit auf Werktätigkeit und Hinterlassenschaft. Und gleichzeitig hinterläßt er so viele Leerstellen, etwas, das visuell gar nicht vermittelbar ist – wie das Schweigen selbst......

http://www.schnitt.de/202,6414,01


„Eine Person zuviel“

Carmen Tartarottis „Das Schreiben und das Schweigen“ ist viel mehr als „nur“ ein Porträt von Friederike Mayröcker.

01.05.10 / Eine Würdigung. Von Ulrike Draesner

Wir werden einen Film sehen. Er heißt Das Schreiben und das Schweigen, schon der Titel hat es in sich: das Doppelpolige, das Halbgegensätzliche, das Arbeiten mit einer Überraschung, die sich erst entfaltet, wenn man ihr nachzulauschen beginnt. Wenn man auf etwas lauscht, wird es still ringsum, vor allem in einem selbst muss und darf Stille entstehen, eine gespannte Stille – eine also, die sich auf etwas richtet.

Einen Film werden wir sehen zu etwas, über etwas, das es sichtbar nicht gibt. Welch Paradox. „Also wenn du das machen kannst“ sagt Mayröcker zu Carmen Tartarotti am Anfang des Unternehmens. Die beiden haben etwas Kluges erfunden: Paradox ja schon das Ansinnen, einen Autor zu porträtieren. Als Autor. Schreiben sieht man nicht. Es ist dieses Schreiben, so Mayröcker gleich zu Beginn, so intim, dass es nicht stattfinden kann, wenn ein anderer Mensch im Raum ist. „Ich selbst“, sagt die Dichterin, „bin schon zuviel dabei, eine Person zuviel“. Wir dürfen aber zusehen beim „Reinschreiben“, Korrigieren. Sehen die Bewegungen einer Hand auf einem Papier, einer Tastatur, aber das literarische Schreiben, diesen Verwandlungsprozess, diese ständige Übersetzung aus Wirklichkeit, das eisenharte, weiche mayröckersche Schreiben – das kann man nicht sehen, nur sehen: wenn man, zuvor innerlich konzentriert, sich ausrichtet – mit dem Pfeil ins Zentrum schießt, ohne Pfeil und ohne Bogen. Was Kinder gut können, und wir wiederkönnen können. So sind Schweigen und Schreiben miteinander verflochten, nicht nur über die lautliche Nähe, wenn man r und w tauscht, und b und g. So sind wir bei der Arbeitsweise des Films: Unsichtbares sichtbar zu machen, die man auch übersetzen nennen kann. Da ist es kein Zufall, dass die Filmemacherin, die ein einziges Mal im Bild erscheint – man sieht sie Aufnahmegeräte in Mayröckers Wohnung schleppen – sich selbst so aufgenommen hat, dass ihre Augen verdeckt bleiben.

Doch damit nicht genug an innerer Widersprüchlichkeit des Unterfangens. Ein Schweigen, allemal ein spezifisches Schweigen wie jenes vor dem Schreiben, ist nun naturgemäß noch weniger zu sehen als das Schreiben. Dazu kommt das Schweigen danach, und das Schweigen all die Jahre zuvor, oft genug ein jahrzehntelanges Schweigen, ein stummes Schauen und inneres Aufrichten, um einen einzigen Text geschrieben zu haben. So also finden wir uns wieder mitten in Gedanken über einen Film, der nicht über FM handelt, sondern damit, was – schweigend, geschnitten, komponiert und geschrieben gesagt ist, als Buch in Bildern und gesprochenem Wort, in der Lücke und im Holpern der Grammatik, in den Bewegungen zweier Körper, einer Kamera, in der Bewegung von Händen, und Papier, durch Wien, das sich in Tartarottis Bildern hineinmalt und hineinsteigt in dieses Mayröcker-Leben, diese so sichtbar werdende Bedeutung von Wien als Grund für das Schreiben. Eine Poesie der Realität, des „Stehens vor der Wirklichkeit und sie-schreibens“, dieses Wanderns auch, wie wir ahnen werden, ein Film nicht über, sondern MIT und ich möchte sagen „durch“ Friederike Mayröcker ...

Mehr in der Stadtkino Zeitung, April/Mai 2010


Der heimliche Gewinner

30.04.09 / FF Wochenmagazin, 30. April 2009 / Georg Mair

Der heimliche Gewinner der Filmtage war “Das Schreiben und das Schweigen” der Filmemacherin Carmen Tartarotti. Über Jahre hinweg hat sie die Schriftstellerin Friederike Mayröcker begleitet. Allein mit Tonband oder Kamera saß Tartarrotti Mayröcker gegenüber und sie übten gemeinsam, wie man über Literatur reden kann. “Es soll ein Film über das Schweigen werden”, sagt Friederike Mayröcker und räumt trotzdem immer wieder ein Plätzchen frei für das Tonband der Regisseurin. Tartarotti verbindet behutsam Wort und Bild und vor allem die Bilder mit den Texten von Friederike Mayröcker.Daraus entsteht ein gültiges Gespräch über Literatur, ein Seelenbild. Der Film ist kein Monument, dafür sind Mayröcker und ihre Literatur viel zu lebendig, aber ein Film über die Kraft der Literatur. Berührend, ganz ungewöhnlicher Film, eine Reise in ein verborgenes Land.


Surreale Dinge zum Drüberstreuen

24.04.09 / Tageszeitung, 24.04.2009 / Renate Mumelter

Für viele Menschen seien ihre Texte nicht lesbar, sagt Friederike Mayröcker, österreichische Autorin von Weltruf, Jahrgang 1924, Zeitgenossin von H.C. Artmann und der Wiener Gruppe, Lebensgefährtin von Ernst Jandl und Hauptdarstellerin von Carmen Tartarottis „Das Schreiben und das Schweigen“. 90 Minuten lang begleitet der Film die menschenscheue Autorin durch ihren Altersalltag und am Ende des Films hat man Lust bekommen, wieder oder endlich einmal Mayröcker-Texte in die Hand zu nehmen. Dabei ist das Filmportrait durchaus eine Herausforderung. Schon in den ersten Einstellungen kommt Mayröckers Dachbodenwohnung ins bild, überquellend von Büchern, Zetteln, Päckchen und anderen Dingen, von denen sie sich nicht trennen will oder kann. Ein harter Einstieg, der langsam in das leben und Schreiben von Friederike Mayröcker begleitet, ausschließlich sie sprechen lässt, und am Ende überall hingeführt hat, ins Berliner Ensemble, in die Vergangenheit, ans Grab von Ernst Jandl, in die Alte Schmiede, in die Nationalbibliothek, auf Lesereise, zum Änderungsschneider; und in das, was am wichtigsten ist, in die Texte und in die Geheimnisse ihres Entstehens. Das geordnete Chaos in der Dachwohnung ist in den Hintergrund gerückt, gehört irgendwie dazu, wenn Friederike Mayröcker erzählt, wie sie schreibt, wann sie schreibt und was sie schreibt. Irgendwo fängt sie an zu tippen, und in den vielen Körben und zwischen Wäscheklammern hat sie dann „die surrealen Dinge immer bereit zum Drüberstreuen“. Sie arbeitet Tag für Tag und erlebt den Schreibprozess fast als heilige Handlung, in der sie nur Instrument ist und alle anderen zu viel wären...


Ein Ozean der Zuversicht

01.01.09 / Diagonale 09

Gute Künstler-Biographien, ob Spiel- oder Dokumentarfilm, sollten, egal ob einem das Werk das Künstlers zusagt oder nicht, die Essenz des Künstlerlebens auffangen und filmisch ausdrücken können. Carmen Tartarottis Dokumentarfilm über das ungewöhnliche Leben der Schriftstellerin Friederike Mayröcker ist genau solch ein Film: Ihre sehr behutsame und langsame Vorgehensweise wird dem Werk von Friederike Mayröcker gerecht. Tartarottis Bilder „sprechen“ und drücken sehr viel über Arbeits- und Lebensweise der Schriftstellerin aus. Sehr durchdacht und präzise gestaltet sich Tartarottis Inszenierung und schafft trotzdem viel Raum für das eigentliche Highlight des Films: Die mittlerweile über 80-jährige Schriftstellerin spricht im Voice-Over über ihr Leben, ihre Liebe, über die Arbeit und liest teilweise auch Passagen ihrer Werke vor. Jede feine Nuance in ihrer Stimme spiegelt sich auch in Tartarottis Inszenieung wider. Man merkt dem Film an, wie sehr seine Regisseurin sich auf ihre Hauptfigur eingelassen hat, um sie nicht einfach nur filmisch aufzufangen, sondern die Seele ihrer Arbeit filmisch begreifbar zu machen. Dafür kann man Carmen Tartarotti nur den größten Respekt aussprechen.

http://www.allesfilm.com/show


Viennale: Mayröcker Im Porträt

23.10.08 / Die Presse, 23.10.2008

“Weißt du, ich spreche nicht gerne, auf dieser Grundlage wollen wir unseren Film aufbauen”, hauchte Friederike Mayröcker vor einigen Jahren in Carmen Tartarottis Mikrofon. Und so hat die Filmemacherin die Schriftstellerin vier Jahre lang begleitet, ohne sie vor der Kamera sprechen zu lassen. Herausgekommen ist der 90-minütige Dokumentarfilm “Das Schreiben und das Schweigen”, der gestern, Mittwoch, auf der Viennale seine Uraufführung feierte.

Gesprochen hat Mayröcker trotzdem viel. Aus dem Off erzählt die Grande Dame der österreichischen Lyrik über ihre Arbeitsweise, Erinnerungen und ihr sie stets umgebendes Chaos.

Der Film beginnt mit einem typischen Bild: Die Kamera lenkt den Blick auf jenes Chaos, für das Mayröcker weithin bekannt ist. In mehreren Einstellungen offenbart Tartarotti das ganze Ausmaß der Unordnung. Aus dem Off der ironische Kommentar der Lyrikerin: “Eigentlich hab ich mit Null hier angefangen”, so Mayröcker. “Alles war leer, da war nur meine Schreibmaschine”. Und weiter: “Ich kann überhaupt nix wegräumen, ich brauch das alles. Es ist nicht so ungeordnet, wie es aussieht”, fügt sie hinzu.

Dass Mayröcker kein einziges Mal in einer typischen Interview-Situation zu sehen ist, hat nicht nur mit dem Handwerk der Regisseurin zu tun. Gleich zu Beginn der Dreharbeiten stellte Mayröcker eine Bedingung: kein Team, für das ist in der kleinen Wohnung in Wien-Margareten kein Platz. Vielmehr räumt die Autorin der Regisseurin ein “Fleckerl” frei, “da kannst du dein Mikrofon hinstellen”. Und so kam es, dass Tartarotti die meiste Zeit entweder mit Kamera oder mit Ton arbeitete. “Das Problem war die Gleichzeitigkeit”, erst beim Schnitt habe sie die beiden Medien montiert, erläuterte die Regisseurin, die bereits vor 20 Jahren ein filmisches Porträt der Autorin vorlegte.

Und dass die Wünsche Mayröckers von ihrer Umgebung eingehalten werden müssen, zeigt sich im Laufe des Streifens noch oft: “Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du da bist. Schreiben ist eine intime Sache, da hab ich sogar das Gefühl, ich bin schon zu viel”, sagt sie und schickt die Filmemacherin weg. Tartarotti begleitete die Autorin auch nach Frankfurt und Berlin, auch Lesungen in Wien wurden mitgeschnitten. Meist bleibt der Film jedoch in der Wohnung: Zentrum ihrer Lebenswelt ist ihre “Hermes Baby”-Schreibmaschine, von der sie zwei weitere vorrätig hat. Schließlich müsse man gewappnet sein, “wenn sie einmal abstürzt”, so Mayröcker. Lapidar fügt sie hinzu: “Ich muss ja durchkommen bis zum Schluss.”